Nov. 2020 | Identity & Fraud | Fraud

Wenn ein Irrtum zugrunde liegt – etwa, weil eine betrügerische Bestellung nicht erkannt wurde – ist es dem Onlinehändler nicht erlaubt, eine falsche Person zur Zahlung aufzufordern. Neben der Tatsache, dass Unternehmen durch Betrug Kosten entstehen, weil sie zum Beispiel Waren verlieren, müssen sie nun auch noch rechtliche Konsequenzen fürchten, die sich von Unterlassungsaufforderungen bis zur Ordnungshaft erstrecken können.

Verfasst von Till Karsten, Expert Legal Counsel Experian DACH

Der Onlinehandel boomt. Doch wo Geld umgesetzt wird, gibt es leider oft auch schwarze Schafe. So sorgt Betrug beim Online-Shopping für Milliardenschäden, da sich Unternehmen mit digitalen Bezahlprozessen trotz Systemen zur Betrugsprävention nicht immer vollends schützen können. Dass Unwissenheit nicht vor Strafe schützt, hat der Bundesgerichtshof, kurz BGH, nun noch einmal bestätigt. Laut neuem Urteil sind Retailer nämlich nicht vor rechtlichen Konsequenzen von Identitätsdiebstahl gefreit.

Zahlungsaufforderungen bei Bestellungen durch Betrüger unzulässig

Das veröffentlichte BGH-Urteil (UWG § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Fall 1, Anhang Nr. 29 zu § 3 Abs. 3) vom 06. Juni 2019 rüttelt die Retail-Branche auf: Denn dieses macht Onlinehändler indirekt dafür verantwortlich, wenn sie Identitätsdiebstahl nicht erkennen. So sind Unternehmen dem Urteil zufolge nicht vor rechtlichen Konsequenzen geschützt, wenn sie einen Verbraucher zur Zahlung auffordern, dessen Kundendaten unbemerkt missbraucht wurden. Kauft also ein Betrüger mit den Daten eines unwissenden Kunden online ein und der Anbieter mahnt gegen jenen, dessen Daten genutzt wurden, ist dies unzulässig. Eine Zahlungsaufforderung für einen vom Verbraucher nicht getätigten Kauf ist nach Nr. 29 des UWG Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG eine irreführende geschäftliche Handlung und folglich wettbewerbswidrig. Letzteres, weil sie den unschuldigen Verbraucher zu einer Zahlung veranlassen und dem Händler so unrechtmäßige Umsätze einbringen könnte. Irreführend, weil der Verbraucher nicht der Besteller ist und die Zahlungsaufforderung damit unwahre Angaben enthält.

Zusammengefasst: Wenn ein Irrtum zugrunde liegt – etwa, weil eine betrügerische Bestellung nicht erkannt wurde – ist es dem Onlinehändler nicht erlaubt, eine falsche Person zur Zahlung aufzufordern. Neben der Tatsache, dass Unternehmen durch Betrug Kosten entstehen, weil sie zum Beispiel Waren verlieren, müssen sie nun auch noch rechtliche Konsequenzen fürchten, die sich von Unterlassungsaufforderungen bis zur Ordnungshaft erstrecken können. Aufgrund des öffentlichen Prozesses der Verbraucherzentralen fallen weitere interne Kosten an und ein Reputationsschaden für die Marke droht. Insgesamt kostet jeder durch Betrug verlorene Euro mindestens weitere 2,60 Euro und kann sich somit stark summieren.

Ein gutes Fraud-Set-Up wirkt sich doppelt positiv aus

Da Betrüger jedoch nur schwer zu erkennen sind, stehen Onlinehändler vor einer allein schier unlösbaren Herausforderung. Die einzige Lösung für sie ist eine möglichst genaue Identitätsprüfung während des Vertragsabschlusses. Bestehen trotz der Prüfung jedoch Zweifel an der Identität des Konsumenten, sorgt eine Zahlartensteuerung häufig dafür, dass kein Kauf auf Rechnung, sondern ausschließlich sichere Zahlarten wie Vorkasse, PayPal, SofortÜberweisung oder Kreditkarte angeboten werden. Dies ist jedoch keine sinnvolle Lösung, da der Kauf auf Rechnung noch immer eine der beliebtesten Zahlarten in Deutschland ist. So wirkt sich eine Einschränkung der Zahlarten negativ auf das Einkaufserlebnis aus, da Kunden eine reibungslose Customer Journey erwarten, welche dem Händler wiederum zu einer hohen Conversion Rate und damit zu mehr Umsatz verhilft.

Folglich sollte bei Verdacht auf Identitätsbetrug eine manuelle Prüfung durch Experten erfolgen. Hierfür sollte sich der Experte relevanter Informationen bedienen können – unter anderem der Anzahl eventueller Bestellungen über dasselbe Gerät, Scorings, der Distanz zwischen Liefer- und Rechnungsadresse oder der Verwendung von Proxys. Das ist wichtig, da jeder einzelne Fall von den Verbraucherzentralen oder Mitbewerbern aufgegriffen werden kann. Die Häufigkeit lässt sich durch Betrugsprävention aber maßgeblich verringern, wodurch Problemfälle insgesamt seltener auftreten.

Ein weiterer Vorteil: Wenn Händler bei Gericht nachweisen können, dass sie alles getan haben, um ihre Kunden zu schützen und gegen Betrüger vorzugehen, kann sich das positiv auf das Strafmaß auswirken.

Wie immer gilt: Vorsorge ist besser als Nachsorge

Meiner Erfahrung nach ist es beim Thema Betrugsprävention besser, vorher zu investieren als nachher die höheren Kosten zu tragen und die oben aufgeführten Konsequenzen zu riskieren. Der Grund: Nicht nur die Systeme vieler Onlineshops werden innovativer, auch die Betrugsmaschen werden immer ausgefeilter, wodurch eine Art Katz-Maus-Spiel zwischen beiden Parteien entsteht. Letztendlich kann ich das BGH-Urteil nur als weiteren Grund anbringen, warum beim Thema Betrugsprävention Vorsicht besser als Nachsicht ist. Deswegen bieten wir aktuell auch einen Fraud-Health-Check an, der Unternehmen dabei unterstützt Ihre spezifischen Betrugsphänomene aufzudecken, Schwachstellen in ihren bestehenden Fraud-Set-Ups aufzudecken und wertvolle Insights über die neusten Tricks der Betrüger zu erhalten.